LENOS
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LENOS POCKET 162
www.lenos.ch
Dante Andrea Franzetti
Roger Rightwing
köppelt
das feingeistige Tischgespräch
Lenos Verlag
LENOS POCKET 162
Erste Auflage 2012
Copyright © 2012 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlag: Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
Umschlagfoto: studio mm
Printed in Germany
ISBN 978 3 85787 762 9
Der Autor
Dante Andrea Franzetti, geboren 1959 in rich, ist Autor, Publizist und Do-
zent. 1985 wurde er durch den Roman Der Grossvater bekannt und veröffent-
lichte danach weitere Romane und Erzählbände. Er wurde u.a. mit dem Adel-
bert-von-Chamisso-Preis (1994) ausgezeichnet. Franzetti war zeitweilig Reporter
und Italienkorrespondent verschiedener Zeitungen und lebt heute in Zürich und
Rom. Im Lenos Verlag veröffentlichte er 2011, zusammen mit Pic, Das Bein ohne
Mann; 2012 erschien Zurück nach Rom.
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Roger Rightwing hat zehn Gründe
Ein Meteorit stürzte auf die Stadt Basel und legte sie in
Schutt und Asche. Roger Rightwing überlegte nicht lange
und setzte den Titel.
ZEHN GNDE, WA RU M UNS SCHWEIZERN DER METEORIT
NÜTZT.
Das Atomkraftwerk Gösgen og in die Luft und verseuchte
weite Teile des Mittellandes. Roger Rightwing zögerte nicht
lange und setzte den Titel.
ZEHN GNDE, WA RU M ZÜRICH EIN ATOMKRAFTWERK IN
SEENÄHE BAUEN MUSS.
Die Schweizer Fussballer verloren ein Spiel gegen Costa
Rica sechs zu null. Roger Rightwing rätselte nicht lange
und schrieb.
4 : 2 FÜR DIE SCHWEIZ! ZEHN GNDE, WA RU M UNS VIER
EIGENTORE ZUM SIEG VERHALFEN.
Ich wäre gern Titelchef. Ich kann es! Ich hätte Roger Right-
wing helfen können, als er zum ersten Mal in Zweifel ge-
riet. Und das geschah, als eines Morgens das Statistische
Amt vermeldete: In der Schweiz leben mehr Deutsche als
Schweizer. Es steht 3 512 000 für Deutschland zu 3 496 000
r die Einheimischen.
Roger Rightwing grübelte. Wenn es eine gute Nachricht
war, wie konnte er eine schlechte daraus machen? Wenn es
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eine schlechte Nachricht war, wie konnte er eine gute dar-
aus machen?
Die Albaner zu den Schweizern zählen? Die Bündner dop-
pelt zählen? Die Deutschen als halbe Schweizer zählen? Die
Schweizer Kühe mitzählen? Überhaupt nachzählen lassen?
Roger grübelte.
DEUTSCHE REIN!?
SCHWEIZER RAUS!?
GERMANISTIK WIRD HAUPTFACH FÜR ALLE!?
Never change a winning title, falls du nicht zehn gute
Gründe hast!
Man muss nur Rogers Rezept folgen.
ZEHN GNDE, WA RU M WIR JETZT ALLE DIE DEUTSCHE STAATS-
BÜRGERSCHAFT BEANTRAGEN.
ZEHN GNDE, WA RU M DIE BUNDESVERSAMMLUNG JETZT AN-
GELA MERKEL ZUR BUNDESPRÄSIDENTIN WÄ H LT.
ZEHN GNDE, WA RU M SCHON CHRISTOPH BLOCHERS UR-
GROSSVATER DEUTSCHER WA R .
Dabei steht es als Leitspruch auf allen Plakaten, die Roger
Rightwing hat drucken lassen und höchstpersönlich an die
Wände der Redaktionsräume genagelt hat.
»Etwas begründen kann jeder Schwachkopf. Etwas be-
haupten können nur die Souffleure des feingeistigen Tisch-
gesprächs.«
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Christoph Sünneli schreibt aus der Klinik
Die Sonne blendete. Etwas Metallisches leitete das grelle
Licht direkt in seine Augen. Christoph Sünneli hielt sich
den Handrücken vors Gesicht, der Wagen knallte gegen ein
Verkehrsschild.
Sünneli war ein bekannter Politiker, und so erreichte die
Nachricht vom Unfall Roger Rightwing auf der Redaktion
sehr schnell.
Sünnelis Kolumne musste ausfallen.
Inzwischen waren etliche Tage vergangen, Sünneli klim-
perte schon wieder auf seinem Computer. Als Kommentar
zur neuen Kolumne stand nur in Grossbuchstaben: RO-
GER, DAS WIRD EINE SENSATION. ICH BIN SOZIA-
LIST.
Tatsächlich trug der Text den seltsamen Titel »Wie ich
sehend wurde, als ich blind war«. Das bezog sich wohl auf
Sünnelis Koma.
Roger überflog.
Roger überflog.
Der Typ war übergeschnappt.
Ignorieren? Nicht abdrucken? Das ging nicht. An der
nächsten Fernsehdebatte würde Sünneli ihn zerfleischen.
Liberales Blatt, haha. Rechtsradikale Kampfpostille! Hetz-
schrift!
Roger las nochmals.
Sünneli berichtete, wie er nach dem Unfall aus dem
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Koma erwacht war und nicht mehr wusste, wer oder was er
ist. Sein Diener aus der Abteilung Skelettkunst des Medi-
zinhistorischen Instituts brachte ihm darauf mehrere Aus-
gaben von Roger Rightwings Zeitschrift, für die Sünneli
seit Jahren Kolumnen geschrieben hatte.
Die neueste rte sich anders an: »Ich sah mich um und
blickte in die Augen der fürsorglichen Krankenschwestern,
oft Tamilinnen oder Inderinnen, die mich liebevoll umsorg-
ten …«, schrieb er aus der Klinik.
Der reinste Kitsch! Xenophilie! Verliebtheit in die Frem-
den.
Roger raufte sich die Haare.
»Ich verachtete, was ich von diesem Sünneli, der ich ge-
wesen sein soll, in der Zeitschrift las. Ich verachtete über-
haupt die ganze Zeitschrift mit ihrer Häme über Sozial-
fälle, falsche oder richtige Invaliden oder andere Menschen
am Rande (zu denen, nebenbei, auch die Kranken gehö-
ren). Diese Wortwahl! Diese Überheblichkeit! Wer bringt
mir hier im Spital die Pfanne, damit ich scheissen kann?
Die Philippinerin! Wer kleidet mich an, duscht mich, rollt
mich herum? Die Frau aus Nigeria. Und wer schnauzt mich
an? Die einzige Schweizerin auf der Abteilung. Ich erkenne
mich in meinen verächtlichen Kommentaren nicht wieder.
Ich schäme mich. Ich entschuldige mich.«
Der Text schloss mit einem Dank an die Gutmenschen,
die er als Schwester Soundso und Hilfspflegerin Sowieso alle
namentlich erwähnte. »Wir werden nicht länger bestehen,
wenn wir nicht sozialistisch zu denken lernen, wie es meine
Pflegerinnen auf ganz natürliche Weise tun. Nur ein solcher
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Sozialismus mit Herz kann in unsere profitkalte Welt etwas
Wärme bringen.«
Es war kein Scherz! Sünneli hatte Roger den Text am Tele-
fon bestigt, war aber zu müde (»in schwesterlicher Wärme
versunken«), um zu diskutieren. Nun gut, Titel und Lead
sind das Filetstück, und dafür ist Roger zuständig. Er über-
legte nicht lange und schrieb.
»HEUCHLERISCHE HELFER. Christoph Sünneli meldet sich
aus der Klinik. Er tut es mit einer ätzenden Parodie auf un-
sere esoterischen Sozialisten im Spitaldienst, die schlimms-
ten Kostentreiber im Gesundheitswesen. Wenn so ent-
larvende Texte entstehen, kann ich nur gratulieren. Dein
Unfall, lieber Christoph, war ein Glücksfall.«
Gut!
Sehr gut!
Wie wir den Irren loswerden, sehen wir später.

Dante Andrea Franzetti
Roger Rightwing köppelt das feingeistige Tischgespräch


Lenos Pocket 162
Paperback
ISBN 978-3-85787-762-9
Seiten 111
Erschienen September 2012
€ 15.00 / Fr. 16.80

Die Schweiz ist traditionell nicht für die extremistische und demagogische Ausrichtung ihrer Journalisten bekannt. Gottlob gibt es Roger Rightwing. Er leitet eine kleine blaue Zeitschrift und zeigt dort Flagge, wenn es auch nur die Flagge seines Herrn ist. Schreibend geht er unerschrocken gegen die gefährlichen Feinde unserer Gesellschaft vor: Arme und Benachteiligte, Ausländer und Invaliden, Arbeitslose und Drogenabhängige, Asylbewerber und Bettler. Es wurde Zeit, dass jemand diesem umgedrehten Robin Hood, der niemals die Starken, immer aber die Schwachen angreift, ein kleines Denkmal setzt. Dante Andrea Franzetti hat es mit grossem Humor und Witz in einer brillanten Satire getan, die Leserinnen und Lesern nicht nur ein Lächeln, sondern häufig ein schallendes Gelächter entlockt.